Niebüll

In Niebüll gibt es einen Bahnhof. Nichts Ungewöhnliches, meint man, aber hier gibt es einen Service, mit dem der Autofahrer mitsamt seinem Auto per Zug zur Insel Sylt gefahren wird. Das ist aber hier nicht das Thema, auf das ich hinaus will. Ich war Weihnachten 2023 Übernachtungsgast am Bahnhof Niebüll. Naja, nicht so ganz. Nicht im Wartesaal, nein! Nur ein paar Schritte vom Bahnhofsgebäude entfernt steht der alte Wasserturm, der zu Dampflok-Zeiten dazu diente, die Lokomotiven mit Wasser zu befüllen – weil: ohne Wasser nix Dampf und auch nix Fortbewegung!

Auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit erwog ich die Küste. Da gibt es Dagebüll. Das ist ein altes Städtchen, das in den letzten Jahren einen touristischen Aufschwung hingelegt hat, der sich sehen lassen kann. OK, schau mal weiter… Südwesthörn… mit Meerblick – na gut, wer es einsam und verlassen mag…

Dann gibt’s ja noch Flensburg, auf der östlichen Seite des Festlands – da ist zwar mehr los und es gibt auch mehr Übernachtungsmöglichkeiten, aber… dann muss man ja immer, wenn man was in Niebüll zu schaffen hat (und das war so!), immer 40 km hin und wieder her fahren. Also Niebüll. Was gibt’s denn da so? Ah ja. Die üblichen Verdächtigen. Aber… was ist denn das? Einen Wasserturm? Und kein Trinkwasserturm? Nein! Bahn.

Anfrage gestartet, Zusage bekommen – hurra! Am ersten Weihnachtstag fuhr ich also los (ok, ich war nicht allein, M. war mit und freute sich genau so wie ich auf diese nicht alltägliche Unterkunft). Wir durchquerten halb Deutschland – Richtung Nordpol, aber kurz vorher links abbiegen, bitte! Zum Glück war nicht allzu viel Verkehr, und wir kamen gut durch. Das Wetter wurde auch immer besser, je weiter nördlich wir vorankamen. Problemlos fanden wir das Insel-Hotel (warum „Insel“? hier ist kein Wasser ringsum!) in der Nähe des Bahnhofs, checkten ein und bekamen den Turm-Schlüssel ausgehändigt. Parken konnten wir unseren Wagen direkt am Turm, direkt am Bahnhof. Luxus! Aber dann… Türe auf – und was sehen wir: eine Treppe! Jaja, bis zum Bett muss man sportliche 51 Stufen erklimmen! Dafür wird man aber auch mit einer tollen Rundum-Sicht belohnt. Der Bahnhof liegt einem zu Füßen, und man kann den Sylt-Touristen winken. Oder auch nicht. So bekannt scheint der Wasserturm als Feriendomizil nicht zu sein. Die Züge mit den personenbesetzten Autos auf den Waggons rollen am Turm vorbei, aber kaum jemand guckt rüber.

Der Turm ist ein historisches Gemäuer – mehr dazu auf diversen Internet-Seiten (Suchmaschinen helfen). Nur so viel: der gut belüftete, jedoch dadurch nicht gut beheizbare Duschraum und das WC befinden sich im Erdgeschoss, ab da hilft nur Klettern. Und immer schön dran denken: Handtücher und Klamotten mitnehmen! Sonst gibt’s extra Sport-Einheiten.

Im ersten Stock befindet sich ein Schreibtisch, auf dem das Gästebuch auf freundlich-begeisterte Einträge wartet. Im zweiten Stock – man sieht viel rohes Gemäuer und eine rostig-historische Rohrleitung – befindet sich ein Sitzmöbel, das sich, wenn man sich ein bisschen in der Szene auskennt, von einer renommierten Designer-Sitzmöbel-Firma stammt und einen gewissen Kultstatus besitzt (kleines Ratespiel: Zyklus ist nicht nur ein Kreislauf, sondern auch ein Sitzmöbel, und das von einem Hersteller, dessen Firmenname etwas mit HERZ zu tun hat!) sowie eine knallrote Kühlbox (für Wasser, Wein, Obst, Käse…) – und in der dritten Etage ist man dann unterm Dach, sozusagen, und hat den perfekten Rundum-Blick auf Bahnhof, Kirche, Dorf.

Nein, das Meer sieht man von hier aus nicht, das ist noch ca. 12 km entfernt. Dahin gelangt man mit der NEG-Kleinbahn, der Bahnhof ist gleich gegenüber dem Bahnhof.

Nun, es war der erste Weihnachtstag, und um diese Jahreszeit wird es im Norden schon früh dunkel – um zwanzig nach 4 ungefähr. Bei Dunkelheit ist der Wasserturm romantisch angestrahlt:

Wir zogen uns warme Jacken an und suchten den Weg ins Zentrum. Das war nicht schwer: Wegweiser halfen uns dabei. An der Kirche vorbei (oder über den Kirchhof) und immer der Nase nach… Geöffnete Lokalitäten gab es allerdings nicht. Alles war im Feiertagsmodus, außer der Bahnhofsgaststätte, wo nicht nur wir dann, nach unserem Spaziergang, auch fündig wurden: Belegte Brötchen, Brezen, Bierchen… was braucht man mehr!?

Der Turm ist im Obergeschoss mit einer kleinen Küche ausgestattet. Ein kreisrundes Spülbecken, ein kleines Ceran-Kochfeld, Geschirr… und auf der Fensterbank harren Toaster, Wasserkocher und Kaffeemaschine ihrer Nutzung. Internet-Zugang, Fernsehgerät, Lesestoff, DVD – alles da!

Ach, ihr wollt noch weitere Bilder?

Ja, man ist dicht dran am Geschehen. Aber keine Sorge, der Turm ist gut schallgedämmt, so dass man von dem Zugverkehr nicht viel mitbekommt. Wenn auf dem nächstgelegenen Gleis ein Zug vorbeifährt, gleich hinter dem Dusch-Raum übrigens, vibriert der Turm ein bisschen, aber die paar Sekunden ist das zu verschmerzen. Und überhaupt: Echte „Isebahnsbähner“, wie wir beide es sind (zumindest von den Vorfahren her), können das ab.

Wenn einem klargeworden ist, dass man keine Geisterstimmen hört, wenn der Bahnhofsansager gerade die Züge ankündigt, kann man das Geräusch abhaken, und fortan achtet man nicht mehr drauf. Was ein bisschen irritierend sein kann, ist der Wind. Bei stürmischem Wetter heult der Wind. Aber das sollte einen beim Einschlafen nicht stören – im Gegenteil. Der Turm hat schon so manche Windstärke ausgehalten.

Was noch? Hilfreich ist es, ein Knippchen (für Nichtsiegerländer: ein scharfes Küchenmesserchen) mitzunehmen und eine Steckdosenleiste mit Verlängerungskabel, für alle Fälle der heutzutage mitgeschleppten Gerätschaften. Hilfreich wäre auch eine Klemmlampe für die Lesewilligen, denn die Leselampe lag unangeschlossen im Regal. Ansonsten alles gut. Ach ja, die Sitzmöbel in der obersten Etage sind auch Design-Klassiker: Vier bunte Vitra-Stühle um einen runden Tisch hellen die Stimmung auf, wenn’s mal regnet. Oder qualmt… denn am zweiten Weihnachtstag wurden wir von lautem und andauerndem Tatü-Tata geweckt. Als dann noch die Warn-App das Handy brummen ließ, wurde ich doch mal neugierig: ohauehaueha, es brennt! Nördlich des Turms, gar nicht weit weg, war eine dunkelgraue Rauchwolke zu sehen, die der Wind nach Osten verwehte. Man sah sogar Flammen hochschlagen! Was ist da los? Leider war eine Lagerhalle eines Landmaschinenhändlers in Brand geraten, das ist nicht nur an Weihnachten schlimm – und selbst am Nachmittag, als wir einen Ausflug an die Küste machen wollten, mussten wir noch einen kleinen Umweg fahren, weil die Feuerwehr die Hauptstraße gesperrt hatte.

Und Bubu findet das auch ganz interessant.

Also, wer mal was ganz Unübliches als Quartier haben möchte, ist hier gut aufgehoben. In Niebüll, so klein, wie es auch ist, gibt es alles, was man braucht. Und zum Meer ist es nicht weit. Nach Dänemark ist es nicht weit und nach Flensburg fährt man eine gute halbe Stunde.