Was weht denn da für eine steife Brise durch den Jazzclub Oase? Die Kölner Band Viento Terral (“Ablandiger Wind”, Begriff aus der Seefahrersprache) legte am 24. November 2023 im Siegener LYZ an und holte vor leider nicht einmal 40 Zuschauern den Salsa aus seiner verstaubten Mottenkiste.
Salsa ist Spanisch und bedeutet “Sauce, Gemisch”, und so klingt es auch, aber fein abgeschmeckt. Die Basis-Instrumente der Salsa (“la salsa = die Sauce”) sind die Conga und die Claves, andere Instrumente wie z. B. die Campana (Glocke), Maracas (Rasseln), Guiro (Gurke) etc. können auch eingesetzt werden. Wer mehr über den komplexen Rhythmus wissen will, schaue sich beispielsweise diese Homepages an:
https://salsa-bremen.net/sites/salsa/salsa-rhytmus.php
https://www.salsa-berlin.de/was-ist-salsa/
Je hochkarätiger die Musik und die Musiker, je mehr Riffs und Notenwerte pro Zeiteinheit, desto weniger Zuschauer, scheint mir. Wo waren die ganzen Salsatänzer, die sich sonntagsabends im Salsa-Schuppen die Hacken abtanzen, bis “El Tiburon”, der Hai, atemlos zur Bachata-Bar japst, und doch nie genug von Salsa bekommen können?
Zugegeben: Salsa allein ist ja schon eine Rhythmik-Nummer für sich. Aber den “Viento Terral”-Köchen reicht die pure Salsa nicht, obendrauf kommt noch eine gehörige Kelle Jazz. In einem Jazzclub kann und muss man Jazz erwarten, auch wenn “nur” Salsa angekündigt ist. Wer nur schlichte Gerichte im 3/4- oder 4/4-Takt gewohnt ist, den bringen 7/8-Speisenfolgen oder gar 13er Patterns möglicherweise aus dem Re… Konzept, und obendrein sind die Stücke aufgebaut wie Menüs, das heißt hier, Tempo und Art des Rhythmus ändern sich im Laufe eines Stücks manchmal ziemlich abrupt, und ein neues Soßenpäckchen wird geöffnet, ein neuer Gang wird serviert.
Thomas Böttcher, Wahl-Kölner und studierter Pianist mit Lehrauftrag an der Codarts Rotterdam, behauptete zwar, Musik machen sei ja eigentlich eine unproduktive Tätigkeit, aber das war nur ein Spaß. Er und seine vier Kollegen – Daniel Hahnfeld, Andy Hunter, Sebastian Nickoll und Camilo Villa – kennen sich teilweise aus Rotterdam und sie kennen sich aus. Sie spielen schon seit vielen Jahren in dieser und anderen Latin-Formationen. Andy Hunter ist hauptberuflich Posaunist bei der grammydekorierten WDR Bigband, aber bei Viento Terral stecke “ganz viel von mir drin”, sagte der gebürtige US-Amerikaner aus Michigan.
Wer Titel wie “Auf Streife mit einem holzbeinigen Polizisten” (“Walking a beat with a peg-legged policeman” auf dem Album “Eh’ Neeky!”) erfindet, muss ein sonniges Gemüt haben. Thomas Böttcher erklärte, dass das Schwierigste an ihrem Projekt das Ersinnen von Musiktiteln für die Kompositionen (60 % Böttcher, 40 % Hunter) sei. “Alles andere ist Peanuts”, als wäre das Komponieren beim Strandspaziergang in Havanna passiert und das Musizieren solch hochkomplexer Rhythmen ein entspannter Zeitvertreib am Musikpavillon auf Cayo Coco. Thomas Böttcher fand die richtigen Tasten zum richtigen Zeitpunkt, ohne einen Blick auf die Tasten zu werfen. Man fühlte sich bei der Musik an berühmte kubanische Klaviervirtuosen wie z. B. Ruben Gonzáles erinnert. Böttchers kubanische Begleit-Patterns bildeten mal das Fundament, mal spielte er ein virtuos-jazziges Solo, mal traumhaft balladesk. Leckere Düfte aus der cocina cubana…
Die Schlagwerker Sebastian Nickoll (Congas) und Daniel Hahnfeld (Timbales, Kuhglocke & Co.) trieben sich im Duo gegenseitig so an, dass man nicht mehr wusste, wo die Eins im Takt ist. Dabei wechselten sie Blicke, die angesichts dieser hochkomplexen Rhythmen ziemlich entspannt und gut drauf wirkten.
Das Wort Conga stammt übrigens möglicherweise vom Bantu-Wort nkónga ab, das „Nabel“ oder „Nabelschnur“ bedeutet, weiß Wikipedia. Ein Conga-Spieler verwendet üblicherweise zwischen zwei und fünf Trommeln, Nickoll hatte drei vor sich (macho, mujer und…?), seine Beine umklammerten die mittlere, auf dass sie nicht wegrutsche, und seine nicht durch Bandagen geschützten Hände/Finger (!) bearbeiteten die Congas. Eine schweißtreibende Angelegenheit! Nickoll wird auch schon mal von der WDR Bigband engagiert, im September 2022 zum Beispiel beim Konzert mit der jungen spanischen Posaunistin Rita Payés (Videos auf YouTube).
Bassist Juan Camilo Villa aus Kolumbien, ebenfalls an der Codarts ausgebildet und mit Folkwang-Preis dekoriert, ist der einzige Südamerikaner in dieser Band. Seine Basslinien und Soli zeugen von hoher Fingerfertigkeit und kunstvoller Ausarbeitung. Ob als Solist oder beim rhythmischen Background, spielt dabei keine Rolle. Auch er hat schon mit den deutschen Rundfunk-Bigbands gespielt.
Andy Hunter, befreit von allen Zwängen eines Bigband-Mitglieds, blies auf seiner kürzlich generalüberholten Posaune, deren Zugmechanik er ab und zu mit Wasser oder einem Spray gängig hielt, presste enorm tiefe Töne heraus und quietschte bis in die höchsten Register – und alles dazwischen natürlich auch. Jazzposaunisten pflegen einen wunderbar weichen Ansatz beim Spielen. Man merkte, dass ihm die Salsa eine unbändige Energie verleiht, die er in sein Spiel legt. Bei einem Stück präsentierte er eine Melodica, was dem “Ablandigen Wind” einen seemännischen Sound verpasste, klang sie doch ein bisschen wie… ja: Schifferklavier.
Zum guten Schluss war das Repertoire ausgespielt, nun wurde improvisiert. Kein Problem für Jazzies. Kurz vor der Adventszeit zauberte ein kubanisch angehauchtes “Jingle Bells” den Zuhörern glänzende Augen ins Gesicht, bevor sie den Heimweg antraten.
Kommt ein blinder Pianist auf die Bühne und jammert: “Der Flügel ist ja ganz verstaubt! Nächstes Mal bitte eine Staub-Klausel in den Vertrag!” (Kein Scherz… Thomas ist des Sehens nicht mächtig, aber kann herrlich Witze drüber machen. Und spielt wie ein kölscher Kubaner!)
Über alle Musiker kann man im Internet noch mehr lesen und sich Videos anschauen! Suchmaschine – und los geht’s!
(Nachtrag: Thomas, der Pianist, verriet mir in einem Gespräch noch den Unterschied zwischen Salsa und der Musik von Viento Terral: Salsa kommt immer mit Gesang!)